Nein, wir fürchten den Atlantik nicht – etwas Respekt vielleicht vor der langen Strecke, das ist die Herausforderung. Einmal ein wirklich langer Schlag. Leben unter Segeln – ausschließlich und ohne Pause, angenehme Temperaturen, gleichmäßiger Passatwind von der richtigen Richtung – die Ladyroute eben. Lieber nur zu zweit, zumindest keine Fremden an Bord – je mehr Personen an Bord, desto leichter gibt es Meinungsverschiedenheiten. Allen Menschen recht getan, …
In Graciosa wurden wir erstmals gefragt, ob wir uns vor der Atlantiküberquerung fürchten. Kanadier die seit 25 Jahren am Schiff leben und bereits 5 Mal den Atlantik gequert haben, finden ihn immer wieder „exiting“ (aufregend).
Um unsere technischen Probleme mit dem Funk beheben zu lassen, kommen wir eine Woche vor dem Start zur ARC (Atlantic-Rally for Cruiser) nach Las Palmas auf Gran Canaria und stellen fest: Las Palmas liegt im ARC-Fieber. An jeder Straßenecke wehen die ARC-Flaggen, fast täglich findet irgendwo ein Feuerwerk statt, Veranstaltungen und PR-Aktionen aller namhaften Firmen, die auch nur im Entferntesten etwas mit dem Segelsport zu tun haben.
In den Segelzubehörgeschäften vor der Marina wird man nur mit Platzkarten (gezogener Nummer) bedient. Wie bei uns beim am Finanzamt. Die Marina ist wie erwartet voll und am davor liegenden Ankerplatz liegen ca. 70 Schiffe, die sich Großteils den 225 ARC-Schiffen anschließen wollen. Es beruhigt, wenn man Gleichgesinnte in der Nähe weiß. Aber nicht zu nahe – wie bei den drei Bauer`s, die von einem ARC-Trimaran in der Nacht fast gerammt worden sind. Man kann Funkkontakt halten und sich gute Tipps holen.
Mit eventuell auftretenden Problemen am Schiff muss dann doch jeder selbst fertigwerden.
Noch sind wir in Las Palmas und sehen, was den ARC-Teilnehmern so alles an Programm und Fortbildungskursen geboten, teilweise auch vorgeschrieben, wird:
– Medizinische Notfallsausbildung
– Verhalten im Sturm + Taktik des Abwetterns
– Notfallpaket – was nehme ich mit in die Rettungsinsel?
– Kommunikation auf hoher See, Seefunk, Satelliten
– praktische Erprobung des Besteigens der Rettungsinsel
– Ortung und Behebung von Wassereinbrüchen an Bord
– Was ist zu tun bei Mastbruch, Ruderbruch, usw.
– Navigation nach einem totalen Stromausfall
Aber nein wir brauchen das doch alles nicht – dass passiert doch alles nur den anderen.
Zum Glück sehen wir auch, was die ARC-Teilnehmer zurzeit wirklich beschäftigt:
– Flaggenparade aller teilnehmenden Nationen
– Wettpaddeln im Schlauchboot
– Malwettbewerb (für die Frauen)
– Besichtigungsausflüge auf Gran Canaria
– Gemeinsames Abendessen in Kategorien unterteilt je nach Schiffsgröße und Crewgröße.
Man versucht Gleichgesinnte zusammenzubringen: die Regattafahrer/Racer, die Chartercrews, die Eignerpaare, die Familien mit Kindern (für die gibt‘s ein eigenes Kinderprogramm)
Angeblich sind die Kosten dieser Programme und Seminare inkl. der Inspektion des eigenen Schiffes plus drei Tage Marinagebühr in den rund 1.000 Euro Nenngeld (2 Personen auf einem 38“ Einrumpfboot) inkludiert. Man erhält eben was für sein Geld. Die Mehrheit der anderen Langfahrer schaut auf die ARC-beflaggten Teilnehmer milde herab und meint: Schau schon wieder einer mit der „hier ist Geld-Flagge“. Ob da nicht dem einen oder anderen vielleicht auch die Trauben zu hoch hängen?
ARC hin oder her – wir wollen uns davon nicht den Kopf voll machen lassen. Wir wollen unseren eigenen Weg wählen und nicht mit der Meute „Rudlsegeln“. Trotzdem scheint das ARC-Fieber ansteckend zu sein und wir haben auch bald nichts Anderes mehr im Kopf als die Atlantiküberquerung
Wir lehnen alle Angebote von „qualifizierten Mitseglern“ ab, die am Liegeplatz von Schiff zu Schiff rudern und fragen, ob wir Crew für die Überfahrt brauchen.
Auch Hand-für-Koje-Angebote gibt es zu hauf. Flugblätter, einfache Zettel, persönliche Vorstellungen in allen Sprachen an allen möglichen und unmöglichen Anschlagplätzen.
Noch sind wir nicht so weit, wir wollen vorher noch nach Teneriffa, Gomera, Hierro und auf die Kap Verden. Außerdem werden wir in den nächsten Tagen unsere Cul8r „atlantikreif“ machen. Viel ist nicht zu tun, aber einige Arbeiten stehen noch an.
Das Großfall ist nach 2500sm am Mastaustritt, am Top fast durchgescheuert. Es ist am Masttop angeschlagen und wird am Segelkopf wieder nach oben umgeleitet. Um die durchgescheuerte Stelle zu erreichen und das Fall zu kürzen muss ich in den Mast. Dies ist bei der zu erwartenden Atlantik-Welle nicht unbedingt erstrebenswert. Deshalb werde ich diese Umleitung ändern und das Fall nur einfach führen.
Die Erfahrung nach der ersten Ausfahrt mit dem nicht mehr umgelenkten Großfall: Das Segel geht schwerer hinauf, ist dafür schneller ober – eh klar – ist aber auch weit schwerer durchzusetzen. Die Kräfte auf der Fallwinsch sind enorm – da getraue ich mich einfach nicht dichter zu nehmen. Der „Erfolg“ dieser Belastung ist nach einem Segeltag (8 Stunden) zu sehen: das Fall muss wieder gekürzt werden – da durchgescheuert.
Schon nach acht Stunden – wie soll das 21 Tage x 24 Stunden gut gehen? 500 Stunden sind in etwa ein 2-Jahrespensum eines aktiven Wochenendseglers.
Als letzten Versuch setze ich ein Stück Gewebeschlauch um das Fall und versuche den Schlauch genau zum Fallaustritt zu bringen. Funktioniert bei Amwindkurs, aber eine Atlantiküberquerung wird der Schlauch kaum aushalten. Ich werde trotzdem bei der nicht umgelenkten Lösung bleiben und weniger Zug auf das Fall geben – wird schon reichen. Natürlich werde ich den Fallaustritt täglich kontrollieren und die Dirk durch ein zweites neues Großfall ersetzen. Auf 50m (!) Fall darf es nicht ankommen. Ohne Groß möchte ich nicht den Atlantik queren müssen.
Mit Segel sind wir überhaupt sehr spärlich ausgestattet: Groß, Genua und Spinaker – das war`s. Ich weiß nicht was mir fehlt. Da die Segel alle neu sind, habe ich noch keine in Reserve. Und andere (Fock, Sturmfock, Topgenua, Genaker, Top-Spi) wären zwar alle manchmal wünschenswert, können aber bautechnisch nicht gesetzt werden (fehlender Bugspriet, 2 Jumpstags nach vorne).
Zum Thema Bunkern:
Seit Monaten werden bei jeder Gelegenheit die Einkaufswagen „für die Überfahrt“ gefüllt. Das begann schon im September in Portugal, wo wir uns bekanntlich weit länger als geplant aufgehalten haben. Natürlich sind große Teile dieser damals gekauften Vorräte längst wieder verbraucht. Ich bewundere meine Bordfrau, die hier den totalen Überblick zu haben scheint. Ohne Spickzettel und Stauliste – alles aus dem Bauch heraus. Jede Inselrundfahrt mit Leihwagen (Madeira, Teneriffa, Gomera) endet im größten Supermarkt der Umgebung. Mit dem Auto einzukaufen ist immer bequemer als mit dem Fahrrad. Und in einer Marina ist es einfacher als am Anker.
Nur Trinkwasser brauchen wir nicht zu bunkern, das machen wir uns selbst. Eine erhebliche Gewichtsersparnis, sowohl beim Einkauf, als auch am Schiff. Sollte unser Watermaker einmal streiken, müssen wir mit dem auskommen, was im Tank ist. Sollte aus unverständlichen Gründen das Wasser im Tank ungenießbar werden (zu lange ruhig wird`s sicher nicht stehen) haben wir noch 25l Trinkwasser in Kanister abgefüllt.
Diesel-Kapazität haben wir angeblich 250l – konnten aber beim ersten Mal nur 207l tanken. Mit einem 20 l-Reserve-Kanister sollte das für knapp 200 Motorstunden oder (mit Schiebestrom) für fast 1.000sm reichen. Weit mehr als genug. Geplant ist, den Motor nur zum Laden der Batterien einzusetzen – täglich maximal eine Stunde – da haben wir Reserve genug. Schließlich segelt unser Haus doch!!!
Rettungsmittel sind alle vollständig an Bord, der Funk funkt jetzt auch endlich und ich denke wir haben alles beisammen. Bei guter Windprognose kann es losgehen.
Wir werden die Atlantiküberquerung solide vorbereitet angehen. 2.731sm sind wir mit unserer Cul8r bereits gesegelt – 2715sm ist die geplante Route nach Tobago. Fünf Monate leben wir am Schiff, seit vier Monaten sind wir unterwegs. Jetzt darf das „Anfänger“-Argument nicht mehr herhalten. Wir haben also ausreichend „Erfahrung“ und können das Thema Atlantik ganz ruhig und locker in Angriff nehmen – ganz ohne Aufregung. Man muss sich das nur oft genug vorsagen.